Timeworks Publisher 2 und die Schul-Chronik

Ein wenig persönliche Personal Computer Archäologie: Wir schreiben das Schuljahr 1991/92, mein Gymnasium feierte sein 70jähriges Bestehen und wollte aus diesem Anlass eine Schul-Chronik herausgeben. Mein Vater, Lehrer an diesem Gymnasium, erhielt den ehrenvollen Auftrag, die Erstellung dieser Chronik zu leiten. Er stellte eine Textverarbeitungs-AG (Arbeitsgemeinschaft) aus fünf Schülern zusammen, darunter ich. 

Die kommenden Wochen und Monate waren von sehr intensiven, arbeitsamen, chaotischen Nachmittagen im Computer-Raum der Schule geprägt. (Bis kurz davor war der Computer-Raum das schwer gehasste Sprachlabor. Dessen wertvolle Tonband-Ausstattung wurde dann eines Tages abtransportiert, ohne dass ihr irgendjemand eine (dokumentierte) Träne nachgeweint hätte.) Dieser Computer-Raum hatte (wenn Die Erinnerung™ nicht trügt) circa zwölf Rechner für die Schüler und einen für die Lehrkraft. Möglicherweise waren es 386SX Clone mit MS-DOS. Das Setup wurde komplettiert von einem HP DeskJet 500 und einem im abschließbaren Nebenraum untergebrachten Novell Netware Server.

Ein konservatives Zwei-Spalten-Layout, durchgehende Serif, keine Tausend-Schriftarten-Happy-Hour. Anzeigen und Fotos nicht gescannt, sondern in die unter andächtiger Stille mit 300dpi ausgedruckten jetzt wirklich endgültigen Seiten geklebt.

Während andere sich darum kümmerten, Sponsoren und Werbekunden für die Chronik zu gewinnen, treibt mein Vater eifrig Artikel von Kolleginnen und Kollegen, von den Verantwortlichen der Stadt, von den Altvorderen ein. Irgendwann kamen die ersten Rückläufer und damit die Aufgabe, aus den Texten tatsächlich ein Buch zu layouten. 

Da Öffentlicher Dienst im Allgemeinen und Schulen im Besonderen in Deutschland ja nichts kosten dürfen, ist die Software-Ausstattung frugal. Als Textverarbeitung ist Context Pro installiert, ein Programm, das damals vermutlich eine eingeschworene Fangemeinde hatte (wohl auch den Vobis PCs beilag), aus deutschen Landen stammte und vermutlich billig (im Gegensatz zu Word oder WordPerfect) zu haben war. Damit ließen sich die Texte, wo es notwendig war, digitalisieren, will sagen abtippen, und in einem gemeinsamen Verzeichnis auf dem Netware-Server in Sicherheit bringen. (Möchte nur anmerken, dass es dem Engagement einzelner Lehrer zu verdanken war, dass die Computer einzeln und im Netz überhaupt funktionierten. Unbezahlte Mehrarbeit, gerne genommen, selten bedankt.)

Schon damals las ich die c’t (Testbericht aus der c’t 6/1990) und konnte damit auf Papas Frage nach einem Layout-Programm den Timeworks Publisher empfehlen – von dem wir dann auch eine Lizenz beschaffen ließen. Timeworks war ein DTP-Programm auf GEM-Basis, eine frühe Alternative zu Windows. (Atarianer kennen es als Oberfläche ihres TOS.) Man brauchte kein GEM für den Publisher, der brachte eine Runtime (Laufzeit-Umgebung) gleich mit, und sah damit für ein PC-Programm ziemlich schick aus. (Screenshots von Timeworks Publisher 2 für den PC scheint es keine zu geben, aber wer danach sucht, kann sich an den Atari-Screenshots orientieren.)

(Hier ein Bericht über die Atari-Ausgabe, die mit dem von uns benutzten PC-Produkt ziemlich übereinstimmen sollte: Timeworks Publisher 2 – DTP aus England)

Wir Computer-Dompteure hatten eine wilde Zeit, Texte zu digitalisieren und zu redigieren (in Context), dann in den Publisher zu übernehmen und dort zu einem (recht konservativen Zwei-Spalten-) Layout zusammenzufügen. Erleichtert wurde die Arbeit dadurch, dass der Publisher als relative Neuheit für ein DTP-Programm es zuließ, die Texte direkt im Layout zu editieren, um zum Beispiel noch zwei Wörter zu kürzen, damit der Text auf den ihm zugemessenen Platz passte.

Es hat Spaß gemacht, Timeworks DTP auszuloten. Es kostet Zeit, aber der Aufwand lohnt. Das Programm ist noch vergleichsweise leicht zu bedienen, erfordert aber schon einen gewissen Übungsaufwand. Timeworks DTP bietet viele Funktionen, die es als vollwertiges Desktop-Publishing-Programm ausweisen. Ein deutliches Manko sind in erster Linie die wenigen direkt lesbaren Fremdformate für Text- und Grafikdateien. Trotz einiger Fehler und Macken hinterläßt Timeworks DTP den Eindruck, ein praxistaugliches Programm für den allgemeinen Büroalltag zu sein.

Fazit des c’t Testberichts „Mittelklasse – Vier Low-Cost-DTP-Programme im Vergleich“, in c’t 6/1990, S. 90ff

Erschwert wurde die Arbeit durch selbstverständlich inkompatible Speicherung von Umlauten, d.h. jeder Text aus Context musste im Publisher nochmal mit seinen Original-Umlauten versehen werden. Ebenso war der DeskJet zwar im Netzwerk eingebunden, man konnte ihn aber durch überschneidend abgesetzte Druckaufträge mit Leichtigkeit ins Chaos stürzen. Ein Zustand, in dem er in Windeseile seine teure Tinte in großen Buchstaben auf seitenweise Papier spritzte. Bis man ihn abgeschaltet, die Druckerqueue gelöscht und alles wieder in Betrieb genommen hatte. Wir haben mehrfach zum Großen Anlagen Hauptschalter im Lehrerpult gegriffen, um Schlimmeres zu verhindern. Drucken war danach eine durch Zuruf zu koordinierende Angelegenheit. Aber da der Computer-Raum an diesen wilden Tagen uns gehörte, war das dann kein Problem. 

HP DeskJet 500 im Festtagsmodus (300 dpi), getreulich von der Druckerei reproduziert.

Den Widrigkeiten der mittelalterlichen IT zum Trotz, wir haben es geschafft. Vor Ende des Schuljahres waren die Druckvorlagen fertig, auf die dann an den passenden Stellen noch die Fotos eingeklebt wurden. Dann ging das ganze zur Druckerei. Nix da digitale Druckvorstufe. Als Papierhaufen. Und zu den Feierlichkeiten am Jahresende hatten wir eine feine Chronik, die unsere Schule gerne und erfolgreich an Eltern, Ehemalige und sonstige Interessierte verkaufte.

Ein hübsches Fundstück zu Context, aus einem Bericht über die „EDV beim OLG Oldenburg„:

Als Textverarbeitung wird im ganzen Haus – zur Verblüffung mancher Besucher – nicht ein renommiertes Programm, etwa WORD oder WORDPERFECT, eingesetzt, sondern CONTEXT 4.0, ein vom DMV-Verlag vertriebenes Programm mit ausreichend gutem Funktionsumfang, von dem eine Netzwerklizenz unter 40,- DM kostet. Es spricht vieles für eine solche Wahl. Zunächst muß man sich vor Augen halten, daß die Anforderungen an das vom Gericht produzierte Schriftgut bei Licht betrachtet doch recht bescheiden sind, so daß zahlreiche Funktionen „großer“ Programme ohnehin nie benötigt würden. Dann ist zu bedenken, daß – jedenfalls im Grundsatz – ein Programm um so schwieriger zu bedienen ist, je mehr Funktionen es enthält. Insoweit kann „small“ wirklich „beautiful“ sein. Zwar kann CONTEXT natürlich bei weitem nicht soviel, wie die genannten Spitzenprogramme, es hat aber – neben dem sehr viel niedrigeren Preis – eben den ganz großen Vorteil, äußerst leicht bedienbar und erlernbar zu sein.

Im Norden manch Neues:
Ein Lagebericht zur Entwicklung der EDV im OLG Oldenburg

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