Linux ist käuflich, zumindest, wenn es in der feschen Form von elmentaryOS daherkommt. Ich probiere in letzter Zeit diverse Linux Distributionen durch, um herauszufinden, ob und was ich mit einem älteren HP Notebook anstelle, für das Windows 10 das Ende der Microsoft-Fahnenstange ist.
Durch die Standards, K/X/Ubuntu und Fedora habe ich mich schon durchgeklickt, auch einmal Linux Mint Cinnamon. Am besten hat mir bisher KUbuntu gefallen.
Dieser Eintrag sei aber elementaryOS gewidmet, einer Linux-Variante, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, macOS zumindest im Design so weit wie möglich nachzuahmen. Inzwischen aber auch bereit ist, stilistisch eigene Wege zu gehen. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist, dass diese Distribution nicht um Spenden wirbt, sondern gekauft werden möchte. Gut, ich werfe $20 in den Ring und bekomme einen Download, den der olle Balena Etcher auf einen USB-Stick brezelt.
Installation
Die Installation verlief ereignislos: Wie andere auch, fragt der Installer die Landessprache und das Tastaturlayout ab und ob er die Festplatte komplett löschen und nach eigenem Gusto einrichten darf. Darf er, und wenigeMinuten später startet elementaryOS mit … der Abfrage von Landessprache und Tastaturlayout. Na gut. Dann die frischesten Updates eingespielt und dabei mal nach der WLAN-Bandbreite schauen … und freuen: Die anderen Linuxe konnten mit dem verbauten Realtek RTL8821CE nämlich herzlich wenig anfangen, die Verbindung kam wohl zustande, nur brach die Bandbreite immer wieder ein. Hier aber war das knappe GigaByte Patches schnell heruntergeladen und eingespielt.
Einrichten
Schon mal eine schöne Überraschung: In den Systemeinstellungen Drucker ausgewählt, dann die beiden Drucker eingeschaltet … Als die Drucker sich ins WLAN eingebucht hatten, erschienen sie auch gleich in der Liste der Drucker. Gefällt mir schon mal!
Der gute Eindruck vergeht leider, wenn man tatsächlich etwas drucken möchte. Beim ersten Versuch aus dem Dokumentenbetrachter bleiben beide Drucker auf „Informationen über Drucker werden geholt“ stehen.
Beim Drucken aus LibreOffice funktioniert es mit dem LaserJet, aber das Epson WorkHorse bleibt im Stall, mit einer undurchsichtigen Fehlermeldung:

Und auch beim LaserJet möchte ich eigentlich nichts von einer cfFilterChain lesen.
Zugriff auf das NAS funktioniert auch, von dort kann die Musik-App Songs spielen.
Die fn-Ebene der Notebook-Tastatur wurde auch erfolgreich eingebunden, Lautstärke und Bildschirmhelligkeit lassen sich über die Hotkeys einstellen.
Mein mailbox.org-Postfach wird auch automatisch eingerichtet. Allerdings wird der Vollbestand an Mails nicht automatisch abgerufen, hier muss man einmal den Aktualisieren-Kringelkreis klicken.
Rundreise
Mitgelieferte Apps sind eher minimalistisch, die Musik-App zum Beispiel möchte einzelne Songs ausgewählt haben, die in eine Playlist eingereiht werden, kein Audiothek-Management a la iTunes.
Die Mail-App tut so, als gäbe es eigentlich gar nichts einzustellen. Nicht mal das Abruf-Intervall für das Postfach lässt sich ändern (oder ich finde es nicht). Also ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen alles weggelassen, was man nicht unbedingt braucht.
Die Systemeinstellungen sind super-übersichtlich, etwa wie bei frühen MacOS X-Releases. Die Berechtigungen werden hier für jede App sehr differenziert aufgeschlüsselt.
Ich probiere noch weitere Apps aus dem App Center aus. Von dort kann man beispielsweise das bewährte LibreOffice installieren. Und auch den Markdown-Editor, der iA Writer nachmachen will,
Multi-Monitor
Betrieb mit Notebook-Monitor und weiterem Monitor funktioniert. Die Systemsteuerung bietet das übliche „Wie stehen die Monitore zueinander“ an. Notebook zuklappen (nachdem, siehe unten, externe Tastatur und Maus eingerichtet sind, funktioniert auch. Nichts zu meckern an dieser Ecke.
Kaputt?
Tag Zwei: Notebook neu gestartet, geschaut, ob meine Logi-Kombi aus Keyboard und Mouse über den Unify-Stecker erkannt werden. Nö. Dafür auch die Microsoft Maus bzw. ihr Stecker nicht mehr.
Mausi?
Sehr seltsam, aber gut, probieren wir es mit einer Kabel-Maus. Aha, tut. USB-Stecker von Micro-Maus rein. Aha, Micro-Maus tut auch. Kabel-Maus raus, Micro-Maus tut weiterhin. Gut, dass ich so einen Hardware-Zoo bei mir rumliegen habe. Aber nichts für Leute, die ein „und läuft und läuft und läuft“ erwarten und benötigen.
Bluetooth-Zahnschmerzen
Probiere, eine K380 Logi Tastatur per Bluetooth einzubinden, stelle dabei fest, dass Bluetooth systemweit deaktiviert ist. Das wird auch korrekt in der Statusbar links oben angezeitgt. Im Bluetooth Applet der Systemsteuerung kann ich Bluetooth „einschalten“, der Schalter wird blau, Bluetooth bleibt aus.
Das Internet hilft mit dem Tipp rfkill.
andi@elementary:~$ rfkill
ID TYPE DEVICE SOFT HARD
0 bluetooth hci0 blockiert entsperrt
1 wlan phy0 entsperrt entsperrt
SOFT blockiert, meint, so stelle ich fest, dass ich wohl irgendwie den Flugmodus des Notebooks aktiviert habe, aber nur für Bluetooth? Jedenfalls einmal fn+F12 später:
andi@elementary:~$ rfkill
ID TYPE DEVICE SOFT HARD
0 bluetooth hci0 blockiert entsperrt
1 wlan phy0 blockiert entsperrt
andi@elementary:~$ rfkill
ID TYPE DEVICE SOFT HARD
0 bluetooth hci0 entsperrt entsperrt
1 wlan phy0 entsperrt entsperrt
Dann probieren wir es nochmal mit der Tastatur. Normalerweise findet man die pairing-bereite Tastatur in der Liste der Bluetooth-Geräte, dann kommt ein Code, den man auf der Tastatur eingeben soll, um zu zeigen, dass es die richtige ist. Hier kommt diese depperte Meldung:

Beim ersten Mal scheitert Koppeln komplett. Beim zweiten Mal funktioniert es dann, obwohl mir nicht klar ist, wieso. Außerdem wird die Geräteliste des Applets schwarz. Da die Taskbar kein „Schließen“ bzw. „Schließen erzwingen“ für die laufenden Programme kennt, bleibt auch hier nur der Weg zur Kommandozeile: xkill ist mein Freund.
Nach einmal Standby und Aufwachen ist Bluetooth wieder deaktiviert. Ein paar Mal Flugmodus ein/aus, Bluetooth ist wieder da, kann die Tastatur aber nicht verbinden. Das ist nicht gut.
Was fehlt
Menüs. Menüs fehlen! Alles, was der Common User Access früher™ sauber in einer Leiste voller DropDown-Menüs an die obere Bildschirmleiste getackert hatte, versteckt sich heutzutage hinter einem oder mehreren „Burger“ (☰), „Döner“ (⋮) oder bei elementaryOS hinter einem Zahnrad-Icon (⚙️). Und warum haben Fenster keine Titelleisten mehr? Ich kann darin keinen Fortschritt erkennen, sorry.
Was auch fehlt ist Spotlight, die systemweite Suche in macOS und mein Programmstarter. Ich gehe eigentlich nie über den Programme-Ordner, sondern rufe Spotlight auf, fange an den Namen der Anwendung zu tippen, z.B. „ite“, und schon findet Spotlight die Terminal-Anwendung iTerm. Ein, zwei Mal Cursor runter, Enter, und das Ding ist gestartet. Sowas fehlt bei elementaryOS. Bzw. überhaupt ein systemweites Menü wie der Apfel, mit der bei mir sehr beliebten Funktion „Andere Anwendungen ausblenden“. Das ist mein Fokus-Trick und meine Clean Desk Policy 🙂
Ach, Moment, die Super-Taste (die Taste, die sonst die Windows-Taste wäre), aktiviert das Anwendungen-Menü und darin das Suchfeld. Lostippen, schon kürzt es die Menge der Anwendungen auf Suchtreffer ein. Genügend Buchstaben und Eingabe drücken startet die gewünschte Anwendung. Lass ich so gelten 🙂
Moderne Menüs
⋮ U+22EE
☰ U+2630
⚙️ U+2699
Anwendungen
Apostrophe
Apostrophe möchte ein iA Writer Klon sein, und ich hätte wirklich gerne iA Writer für Linux. iA Writer wird als minimalistisch beschrieben, hat in seinen mehr als 10 Jahren aber doch einige Funktionen und eben Feinschliff bekommen, den eine Open Source App nicht unbedingt haben kann.
Das vorausgeschickt ist mein Eindruck von Apostrophe gut. Es versteckt seine Toolbar unten links hinter einem unscheinbaren Pfeil. Hier bekommt man alle Formatierungsoptionen von Markdown angeboten, auch ein Tabellen-Assitent geht zur Hand.
Mir gefällt außerdem, dass der Text in der Vorschau sauber mit der Position im Editor mitläuft. Außerdem gibt es gegenüber iA Writer hier mehr Freiheitsgrade: Die Vorschau kann nicht nur rechts des Editors eingeblendet werden, sondern auch unterhalb und, besonders flexibel, in einem eigenen Fenster. Dort stört dann auch die ansonsten starre Zuteilung von der Hälfte des Fensters für die Vorschau nicht mehr.
Was Apostrophe noch komplett fehlt, ist das Konzept Bibliothek. Hier werden einzelne Dateien bearbeitet, keine Sammlungen. Tags werden auch nicht unterstützt, das würde Leuten fehlen, die Zusammenhänge über im Text eingestreute #Stichwörter finden wollen.
Diese App werde ich im Auge behalten, denn was sie macht, macht sie schon mal richtig.
(Gibt es ein) Fazit?
Ich würde elementaryOS gerne lieben, weil ich fühle, dass sich hier Leute viel Mühe gegeben haben, etwas Schönes zu schaffen. Aber der ewige Witz, „2010 2011 2012 … 2023 2024 2025 is the Year of Linux on the Desktop“ kann noch nicht eingemottet werden. Zu oft scheint die Technik durch, und, noch ein gscheiter Spruch: „So einfach wie möglich, aber nicht einfacher!“ Dagegen verstößt elementaryOS, weil manche Dinge eben nicht durch bloßes Weglassen einfacher werden.
Dieses OS kommt auf Wiedervorlage, schließlich habe ich dafür bezahlt!
Und als nächstes schaue ich mir mal ein richtiges Unix an, FreeBSD, denke ich.